Beitrag vom 07.06.2024

Stressfrei gibt es nicht


Teaser

Als Präventionsberaterin für psychosoziale Gesundheit mit dem Schwerpunkt Stressmanagement hilft Corinna Kondermann ihren Klient*innen in 1:1-Coachings und Stressmanagement-Seminaren herauszufinden, wie ein gesunder Umgang mit Stress für sie persönlich aussehen kann. Ihre Motivation dazu kommt aus persönlichen Erfahrungen.

Mein erstes Burnout hatte ich mit 26 Jahren, das zweite dann im ersten Jahr der Corona Pandemie. Ich war die Königin des Multitaskings und des Arbeitstunnels, angetrieben von meinem Ego, übertriebenem Perfektionismus und der Angst, andere im Stich zu lassen. Ich habe die Warnsignale wie Kopf- und Rückenschmerzen, Zähneknirschen und häufige Erkältungen ignoriert, bis ich schließlich unter anderem an einer Schlafstörung und Erschöpfungsdepression litt. Drei Jahre später bin ich immer noch auf dem Weg der Genesung. Ich erkenne regelmäßig, dass ich nicht mehr so leistungsfähig bin wie früher – und das ist in Ordnung, denn es hat mich zum Umdenken gebracht.

Wir leben in einer Zeit, in der das „Gestresst sein” zur Norm und für viele sogar zu einem Statussymbol geworden zu sein scheint. Das Leben wird immer schneller und wir werden täglich mit einer endlosen Reizüberflutung konfrontiert. Dabei ist es heute wichtiger denn je, auch einmal innezuhalten und sich die Zeit zu geben, all diese Informationen auch zu verarbeiten.
Der Begriff „Stress” beschreibt ursprünglich, wie viel „Belastung“ ein Material ausgesetzt werden kann, bis es bricht. Übertragen auf den Menschen lässt sich schon erahnen, welche Auswirkungen Dauerstress auf die körperliche und mentale Gesundheit haben kann.

Wenn wir über Stress reden, meinen wir in der Regel negativen Stress (Distress), der ein Schutzmechanismus des Körpers ist, uns aber auf Dauer krank machen kann. Es gibt aber auch positiven Stress, den sogenannten Eustress, der uns motiviert, herausfordert und leistungsfähig macht.Beide Arten von Stress setzen uns unter eine gewisse Anspannung. Daher brauchen wir Erholungsphasen, um uns neu zu organisieren und gestärkt wieder in die nächste Belastungsphase zu starten.

Die Alarmanlage des Körpers

Stress ist mehr als nur ein Gefühl – es ist eine komplexe Reaktion unseres Körpers auf Herausforderungen. Stellen Sie sich vor, in unserem Stammhirn sitzt ein kleines Männchen, das bei Stress auf den Panikknopf drückt, der den Körper in einen Überlebensmodus versetzt. In diesem Moment übernimmt das Stammhirn die Kontrolle und das Denkhirn hat nichts mehr zu melden. Deswegen fällt es uns im gestressten Zustand deutlich schwerer klar zu denken, andere Perspektiven einzunehmen und strukturiert und konzentriert zu arbeiten. Kreative Problemlösungen oder innovatives Denken sind in diesem Zustand nicht mehr möglich.

Es folgen eine Vielzahl an körperlichen Prozessen wie zum Beispiel die Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin sowie die verstärkte Energieversorgung der Muskeln und lebenswichtiger Organe, während die Aktivität andere Funktionen wie Verdauung und Immunabwehr heruntergefahren werden.
Dieser „Alarm“ stammt noch aus der Steinzeit. Begegnete man einem Säbelzahntiger, musste man kämpfen oder fliehen. Diese Reaktion kann bei chronischem Stress jedoch zu Gesundheitsproblemen wie Muskelverspannungen, einem geschwächten Immunsystem, Bluthochdruck bis hin zu Schlafstörungen, Angstzuständen oder Burnouts führen.

Die Weltgesundheitsorganisation hat bereits Alarm geschlagen und sagt voraus, dass im Jahr 2030 stressbedingte Erkrankungen die häufigste Krankheit in den Industrienationen sein werden. Wenn der Säbelzahntiger aber heute nicht mehr unser Leben bedroht, was löst bei uns den Überlebensmodus aus und warum macht er viele von uns heute krank?

Der moderne Säbelzahntiger 

Im Gegensatz zur Steinzeit entstehen moderne Stressreize häufig aus einem komplexen Zusammenspiel wirtschaftlicher, sozialer, technologischer und Umwelt-Faktoren. Die tägliche Konfrontation mit weltweiten Geschehnissen, ungesunde Arbeitsstrukturen, mangelnde Kommunikation und fehlende Kapazitäten im Privatleben: Diese und weitere Stressoren können sowohl einzeln als auch in Kombination auftreten und beeinflussen die psychische und physische Gesundheit.

Bereits seit Jahren gehören psychische Erkrankungen zu den Top 3 Gründen für Krankmeldungen. Laut Techniker Krankenkasse ist die durchschnittliche Anzahl der Fehltage der erwerbstätigen Versicherten aufgrund psychischer Diagnosen von 2012 bis 2022 um gut 35% angestiegen. Die DAK meldet im gleichen Zeitraum einen Anstieg von 48%.

Führungskräfte als Vorbild für einen gesunden Arbeitsplatz

Viele Unternehmen haben das Problem erkannt und etablieren ein Betriebliches Gesundheitsmanagement. Ob flexible Arbeitszeiten und -möglichkeiten, Kinderbetreuung, Beratungsangebote oder eine Gesundheitsförderung im Job – es gibt viele Maßnahmen, die die Arbeitsbedingungen und somit die Arbeitsmotivation und die Work-Life-Balance verbessern. Der Trick bei einer guten Work-Life-Balance ist, sich so zu organisieren, dass genug Raum für Familie, Freizeitaktivitäten, Erholung und persönliche Interessen bleibt, ohne dass der Beruf dabei vernachlässigt wird.

Besonderen Einfluss auf einen gesunden Arbeitsplatz können Führungskräfte haben. Und das nicht nur durch Maßnahmen zur Schaffung einer Unternehmenskultur, die zu den Mitarbeitenden passt. Auch Mindful Leadership, also eine bewusste Mitarbeiterführung durch Selbstreflektion, Selbstregulation und Selbstführung setzt hier an und sieht die Leitungskräfte als Vorbild. Gehen sie achtsam und reflektiert mit sich selbst um und kommunizieren klar und transparent, wirkt sich dies positiv auf die Angestellten aus. Mindful Leadership schafft also eine Arbeitsumgebung, in der die Mitarbeitenden motiviert, engagiert, gesund und zufrieden sind.

Stress entsteht im Kopf

Aber natürlich existiert Stress nicht nur am Arbeitsplatz. Unser Stressempfinden hängt von individuellen Faktoren wie der genetischen Veranlagung, den persönlichen Erfahrungen, unserem sozialen Umfeld und unserer Resilienz ab. So sind manche Menschen widerstandsfähiger als andere und bleiben auch in schwierigen Situationen handlungsfähig, während andere sich in der gleichen Situation bereits im Kreis drehen. Stress entsteht im Kopf. Gedanken sind aber keine Tatsachen! Denn erst wenn wir einen Reiz negativ bewerten, uns etwas nicht gewachsen fühlen oder uns im Kopf Szenarien ausmalen, die eventuell eintreten könnten, entsteht negativer Stress.

Neben einer ausgewogenen Ernährung, Bewegung und einer gesunden Schlafhygiene, helfen auch ein starkes soziales Netzwerk und ein effektives Zeitmanagement dabei, Stress abzubauen. Wer es schafft, gute Prioritäten zu setzen, zu delegieren und – ganz wichtig – auch mal um Hilfe zu bitten, wird es deutlich leichter haben, im Gleichgewicht zu bleiben.
Es ist wichtig, eine Methode für den Stressabbau zu finden, die zu einem passt: Benötigen Sie eher Bewegung oder Ruhe? Entspannen Sie lieber allein oder mit anderen? Wie viel Zeit möchten und können Sie sich nehmen? Diese und weitere Fragen können helfen, die geeignete Entspannungsmethode zu finden. Einer meiner persönlichen Favoriten ist die Progressive Muskelentspannung. Klingt erstmal unsexy, funktioniert aber!

Immer wieder beobachte ich, dass viele Menschen ihren Selbstwert über ihre Leistung, insbesondere im Job, definieren. Dies kann zu einer Selbstausbeutung und einem falschen Pflichtgefühl führen. Es ergibt Sinn, auch mal einen Schritt zurückzumachen und sich zu fragen „Ist es (mir) das wert?“. Nur wer acht auf sich gibt und sich und seine Denk- und Verhaltensweisen kritisch hinterfragt, kann diese ändern und für sich sorgen. Denn alle Methoden der Stressbewältigung funktionieren nur, wenn wir die Verantwortung für uns selbst übernehmen und aufhören, Ausreden zu suchen, warum wir uns nicht um uns selbst kümmern.

Weitere Informationen  unter www.kokonien.com