Beitrag vom 13.12.2024

Ohne KI kann moderne Wissenschaft gar nicht mehr stattfinden.


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Ohne KI kann moderne Wissenschaft gar nicht mehr stattfinden.

Das Gespräch führte Herr Müller von der Grün

Anna Kopp ist seit 2015 Director Micro-soft Digital bei Microsoft Deutschland und seit 2004 im Unternehmen. Sie ist Niederlassungsleiterin der großen Hauptniederlassung in München, EMEA Lead von Women@Microsoft, Mitglied des Beirats der Munich Business School und stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Münchner Kreises. Anna kommt aus Schweden, wo sie Internationale Kommunikation an der Universität Stockholm studiert hat. Im Jahr 2020 wurde sie zu einer der inspirierendsten Frauen Deutschlands gewählt. Sie ist Expertin für die neue Arbeitswelt und KI aus kultureller, politischer und praktischer Sicht, setzt sich für flexible Arbeitsmodelle ein und ist ein Role Model für Geschlechtergleichstellung in der deutschen Tech-Industrie.

Frau Kopp, KI ist zu einem Buzzword geworden. Kam das Thema denn ganz plötzlich und unerwartet über uns?

Mit ChatGPT wurde KI mit einem Mal für die breite Bevölkerung sichtbar und nutzbar. Aber wenn wir von KI sprechen, dann sprechen wir über Algorithmen, wie wir sie schon seit Dekaden nutzen. Die Automatismen haben schon vor Jahren Einzug gehalten in unseren Alltag etwa in Form der Autokorrektur beim Schreiben am PC oder im Smartphone.

Aber dennoch geht davon mit einem Mal eine Faszination aus. Was hat Ihr persönliches Interesse an KI geweckt?

Ich finde es faszinierend, wenn eine Techno­logie Vieles für viele Menschen einfacher und Vieles für manche Menschen überhaupt erst möglich macht. Genau das ist bei KI der Fall. Wir bei Microsoft machen uns zum Beispiel Gedanken darüber, wie Menschen mit einer Behinderung, die gar nicht oder nur sehr ein­geschränkt sehen oder hören können, den­noch mit anderen Menschen kommunizieren können. So haben wir Teams mit Hilfe von KI weiterentwickelt, damit auch Menschen mit bestimmten Einschränkungen damit tele­fonieren können.

Was treibt Sie an, die KI weiterzuent­wickeln und im Alltag einzusetzen?

Ich will das Leben einfacher machen. Auch das Arbeitsleben, denn wir arbeiten, um zu leben, und wir leben nicht, um zu arbeiten. Schauen Sie, was in der Pandemie mit unserem Arbeits­alltag geschehen ist. Wir haben die Zeit für die An- und Abreise zu Terminen gestrichen. Weil wir online und häufig im Homeoffice arbeiten, arbeiten wir alle viel länger und viel mehr. Unsere To-Do-Listen werden immer länger, und wir denken jeden Abend darüber nach, was wir jetzt noch alles erledigen könnten. Hier kann uns die Automatisierung – und nichts anderes ist KI – helfen, die Aufgaben einfach wegzuarbeiten.

...damit wir mehr Zeit haben am anderen Ende des Schreibtischs noch mehr neue und zusätzliche Aufgaben zu übernehmen?

Ja, wir wollen immer schneller, höher und weiterkommen. Aber das ist ein anderes Thema. Wir achten bei Microsoft darauf, dass wir nicht nur neue Aufgaben draufpacken, son­dern dass wir die Ziele anders allokieren, wenn neue Aufgaben hinzukommen – vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels. Gute Leute sind wie Geld auf dem Konto. Beides wollen wir nicht verlieren.

Wohin entwickelt sich die KI in den kommenden fünf bis zehn Jahren?

Technologisch sind wir gerade in der Phase des Feintunings. Nach dem großen Hype, alle Themen mit KI bearbeiten zu wollen, fangen die Menschen tatsächlich an, mit KI zu arbeiten. Sie entdecken, was nicht geht, was grundlegend verbessert und was verfeinert werden muss. Ich denke, wir werden für bestimmte Aufgaben eher kleinere als noch größere Datenmengen einsetzen. Als Menschen wiederum müssen wir lernen mit KI zu arbeiten. Man fragt die KI etwas, aber was als Antwort herauskommt, ist nicht immer befriedigend. Ich habe zum Bei­spiel Office gefragt welche meiner Aufgaben noch offen sind. Heraus kamen alle nicht erle­digten Anfragen der vergangenen zehn Jahre. Das wollte ich gar nicht wissen. Ich hätte prä­ziser fragen müssen: Was habe ich heute noch zu tun? Wir müssen also unser Prompten spezi­fizieren, denn KI tut, was ich ihr sage, nicht was ich gedacht habe. KI kann nicht zwischen den Zeilen lesen! Das ist es.

Welche Chancen erwachsen mit der KI für Start-ups aber auch für Gründende?

Es gibt so viele Mikroanwendungen im privaten und beruflichen Alltag, die wir mit KI verein­fachen und im Ergebnis verbessern können. Es ist eine große Chance für Gründende und junge Unternehmen, User-Scenarios zu definieren und darauf die passende KI zu schneiden. Wie kann ich digitale Lösungen für das Smartphone entwickeln, um Bankgeschäfte, Versicherungs­angelegenheiten oder Behördengänge zu ver­einfachen? Überall, wo Menschen fehlen und wir uns ungezählte Minuten in Warteschleifen von Hotline-Nummern drehen, kann KI uns hel­fen, schneller und besser zum Ziel zu kommen. Darum kostet KI auch keine Arbeitsplätze, son­dern sie hilft uns Zeit zu sparen und die Quali­tät zu heben.

Kennen Sie ein Start-up, dass mit einer KI-Anwendung alles richtig gemacht hat?

Ja. Nuance ist ein super Beispiel. Das Unter­nehmen war schon ein großer Laden, als Microsoft es gekauft hat. Aber es hatte ein­mal als Start-up begonnen. Nuance hat eine KI-Anwendung explizit für Arztpraxen ent­wickelt, die nicht nur Sprache in Text transkri­biert, sondern die Inhalte auch interpretiert. Die KI dokumentiert den Praxisbesuch der Patient*innen, hält Diagnose und Therapie fest, stellt Rezepte aus und unterstützt die Administration in der Praxis. Ganz wichtig ist natürlich: Der Arzt oder die Ärztin kontrolliert die von der KI erstellte Dokumentation und gibt sie frei. Nuance hat damit eine KI-Anwendung für einen sehr klaren Bedarf geschaffen und eine sehr klare Story geschrieben. Die Idee ist auch in andere Bereiche übertragbar. Diese KI-Anwendung schafft eine messbare Ver­besserung: Sie spart Zeit, entlastet die Ärtz*in­nen, steigert die Kundenzufriedenheit und vor allem die Qualität.

Wie können die Hochschulen besser auf die Anforderungen der KI-Branche eingehen?

Oh, da gibt es viel zu tun. Die Hochschulen müssten zuallererst verstehen, was die KI-Technologie überhaupt macht. Die Hoch­schulen sind häufig weit von den Business­themen und den Fragen nach der Usability entfernt. Sie sind weit weg von der Wirklichkeit der Menschen, von ihrem privaten und beruf­lichen Alltag. Und es dauert zu lang, bis Ver­änderungen in der Wirklichkeit in den Curricula angekommen sind.

Was können die Hochschulen besser machen im Umgang mit Gründenden und Start-ups?

Mit Institutionen wie dem Science Park und dessen Unternehmen aktiv auf die Firmen in der Region zugehen. Das bedeutet eini­ges an Arbeit, aber die wird sich lohnen für beide Seiten. Ich habe zum Beispiel an der TU München in einem Bachelor-Studiengang als Dozentin mitgewirkt. Mein Thema war die Ein­führung von KI in Unternehmen mit Betriebs­rat. Herausgekommen ist eine Checkliste für Unternehmen.

Was können die Hochschulen dank KI besser machen?

KI hilft den Studierenden beim Lernen. Mit dem persönlichen KI Assistent Syntea lernen wir in einem anregenden Dialog. KI hilft bei der Recherche wissenschaftlicher Erkenntnisse und ordnet Wissen. Ich würde sagen: Ohne KI kann moderne Wissenschaft gar nicht mehr stattfinden.

Welches wird ein Top-Job in der KI-Branche sein?

Ein Top-Job wird es in Zukunft sein, KI in Unter­nehmen einzuführen. Da geht es nicht in erster Linie um Technologie, sondern um die Auswahl und das Training der passenden Personen, um Security, Compliance, das Verstehen und Anwenden von Gesetzen sowie schließlich um Verantwortung.

Die eigentliche Aufgabe ist also die soziale und politische Implementation von KI in Gesellschaft, Unternehmen und im gesellschaftlichen sowie politischen Miteinander?

Ja, daran glaube ich fest. Ich glaube, KI muss mit dem Menschen im Mittelpunkt eingeführt wer­den. Das Wichtigste ist, die Balance zwischen Offenheit und Neugierde einerseits und gleich­zeitig gesunder Skepsis und Regulierung auf der anderen Seite zu finden. Hier, glaube ich, sind wir in Deutschland auch schon auf dem besten Weg. Ich hatte zu genau dem Thema ein Kapitel zu diesem Buch beigetragen:

Human Friendly Automation: Arbeit und Künst­liche Intelligenz neu denken : Tobias Kämpf, Bar­bara Langes, Lars Schatilow. Es ist ein Werk von vier Professor*innen mit einem Vorwort von Andrea Nahles und gesponsert von der deut­schen Rentenversicherung. Die Werte Charta Human Friendly Automation Value Manifesto ist ebenso lesenswert!