Diplom-Psychologin Sally Schulze will mit ihrem Start-up „MentalStark“ einen Beitrag zur Digitalisierung des Gesundheitswesens leisten. Ihr Unternehmen hat sich auf die Themen Kinderwunsch und Frauengesundheit spezialisiert und unterstützt mit dem ersten Programm Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch.
von Gabriele Hennemuth // Der Artikel wurde für das Science Park Magazin (Frühjahr 2024) geschrieben.
„Ich möchte dazu beitragen, das Gesundheitswesen zu digitalisieren“, sagt die engagierte Diplom-Psychologin. Sally Schulze hat sich mit ihrem ersten Programm auf Menschen mit Kinderwunsch spezialisiert. Studien gehen davon aus, dass in Deutschland fast jedes zehnte Paar zwischen 25-59 Jahren ungewollt kinderlos ist. Die Phase des unerfüllten Kinderwunsches kann für Paare emotional sehr belastend sein und eine emotionale Achterbahn bedeuten, in der die Paare mit Rückschlägen, negativen Schwangerschaftstests, schlechten Nachrichten beim Praxisbesuch, künstlichen Befruchtungen und Fehlgeburten konfrontiert werden. Ungewollte Kinderlosigkeit ist ein gesellschaftliches Tabu, über das selten gesprochen wird. Umso wichtiger ist es für Paare, einen Raum zu haben, wo sie ihre Fragen stellen und sich mit anderen Betroffenen austauschen können.
Die Online-Plattform „MentalStark“ kombiniert persönliche Unterstützung mit digitalen Komponenten: Neben konkreten Fachbeiträgen, Videos und Podcasts, die jederzeit verfügbar sind, gibt es auch Webinare, die von Psychologinnen geleitet werden. Bei schwierigen Fragen bietet das Start-up auch Einzelgespräche an, die innerhalb von 48 Stunden angeboten werden. Für das mittlerweile 10-köpfige Team ist es besonders wichtig, ein Angebot zu schaffen, das zeitlich flexibel und unbegrenzt nutzbar ist. „Paare, die sich in der Kinderwunschbehandlung befinden, sind zeitlich sehr eingespannt: Sie sind durch die Behandlungstermine bereits sehr belastet, umso wichtiger ist es uns, dass unser Angebot zeitlich und räumlich flexibel ist“, sagt Sally Schulze.
Nach ihrem Studium und ihrer Ausbildung zur Psychotherapeutin betreute die Diplom-Psychologin Frauen, die wegen einer drohenden Frühgeburt lange im Krankenhaus bleiben mussten oder Paare, deren Kind mit schweren Erkrankungen oder Behinderungen zur Welt kam. Schon damals spürte die Psychologin das Dilemma, dass es für die Betroffenen in diesen schwierigen Situationen keine unmittelbare psychologische Unterstützung gab. Sie war überzeugt, dass es mit einfachen technischen Mitteln möglich sein müsste, den Betroffenen erste Informationen zur Verfügung zu stellen und damit eine schnelle Hilfestellung zu bieten. Gleichzeitig machte sie die Erfahrung, dass die Digitalisierung in Krankenhäusern noch wenig verbreitet war. An den Einsatz von Tablets für Patientinnen war im Jahr 2014 nicht zu denken.
Nach vier Jahren verließ Sally Schulze die Uniklinik und wechselte zu einem Unternehmen, das psychologische Beratung für Menschen am Arbeitsplatz anbietet. Der 70-jährige Firmeninhaber wurde ihr Vorbild und Mentor. Er lebte vor, dass auch medizinisches Fachpersonal und Menschen in heilenden Berufen nicht nur in Praxen arbeiten, sondern auch Unternehmen gründen können. „Ich sah, dass es Unternehmen gab, die bereit waren, für die psychologische Betreuung ihrer Mitarbeitenden zu bezahlen, um deren Lebenszufriedenheit und Produktivität zu steigern“, erzählt die Psychologin.
Die Idee war geboren: Patientinnen ein digital gestütztes Begleitprogramm zu ihrer Behandlung anzubieten und das Angebot über Kinderwunschkliniken zu finanzieren. Die ehemaligen Kolleg*innen aus der Uniklinik bestärkten sie, das Angebot auszuarbeiten und ein Unternehmen zu gründen. Auch ihr familiäres Umfeld machte ihr Mut: „Toll! Wann geht ihr an die Börse?“, wollte ihr Vater wissen.
Die umsetzungsstarke Psychologin nahm an einem Mentoring-Programm von Youth Business Germany teil und verteilte in Kinderwunschkliniken Flyer mit ihrem Angebot. Während dieser Zeit lernte sie ihre Mitgründerin Vera Claas kennen, die als IT-Projektmanagerin im regulatorischen Umfeld von Banken Softwarelösungen entwickelte. Nach einer Kennenlernphase beschlossen die beiden, das Projekt gemeinsam zu entwickeln. Sally Schulze kündigte mitten im Corona-Jahr 2020 ihre unbefristete Vollzeitstelle und arbeitete zusammen mit Vera Claas, die weiterhin Vollzeit arbeitete, während des sechsmonatigen Hessen Ideen Stipendiums an dem Projekt. In dieser Zeit entwickelte das Team die Gründungsidee zu einem tragfähigen Konzept weiter.
„Wir wollten beide mit jemandem gründen, der anders ist und die eigenen Fähigkeiten, Erfahrungen und Perspektiven gut ergänzt. Diese Komplementarität braucht man im Gründungsteam, auch wenn es manchmal anstrengend ist“, erklärt die Gründerin. Während Vera als erfahrene IT-Expertin viel Know-How im regulatorischen Bereich gesammelt hat und mit kleinem Budget sehr schnell eine erste funktionsfähige Version der Idee umsetzen kann, kann Sally gut auf Menschen zugehen und von ihrer Idee überzeugen.
Das reproduktionsmedizinische Team der Uniklinik Frankfurt unterstützte MentalStark bei der ersten Studie und Patientinnen testen die entwickelten Module. Bereits in dieser frühen Phase zeigte sich der Mehrwert des Angebots: Die Patientinnen hatten durch die Kombination aus digitaler Unterstützung und persönlicher psychologischer Beratung ein breiteres Spektrum an Hilfsangeboten. Es zeigte sich, dass die Motivation sich über Tutorials zu informieren, groß war, da auf der anderen Seite die Möglichkeit bestand, bei weitergehenden Fragen die moderierten Gruppensitzungen zu besuchen oder Einzelberatungen zu buchen.
Mittlerweile hat das Team bereits 12 Kinderwunschzentren gewonnen, die ihren Patientinnen therapiebegleitend den Zugang zu Tutorials und Gruppenkursen anbieten können. Besonders wichtig ist den Gründerinnen, dass die Betroffenen das Angebot weiterhin kostenlos nutzen können. Dafür ist die Unterstützung von Partnern, wie z.B. Kinderwunschkliniken wichtig, da das Angebot bisher nicht von Krankenkassen finanziert wird. „Für mich ist es immer ein großer Erfolg, wenn wir neue Partner gewinnen und damit vielen weiteren Menschen in dieser sehr belastenden Situation den Zugang zu unserem Programm ermöglichen können,“ sagt Sally Schulze.
Neben der Online-Plattform erstellt das Start-up hochwertigen Content zum Thema Kinderwunsch, der von reichweitenstarken Anbietern auf deren Portalen genutzt wird. Zum Beispiel hat Sally Schulze das Informationsportal des Bundesfamilienministeriums mitgestaltet und einen Podcast mit 36 Folgen produziert. Mit diesen Einnahmen konnte sich MentalStark bisher selbst finanzieren und weitere Mitarbeiterinnen ein-stellen. Um weitere Daten zur Wirksamkeit des Angebots zu gewinnen, treibt das Team die wissenschaftliche Forschung durch die Erhebung von Realdaten voran. Dazu hat das Team eine Finanzierung über Distr@l 4B eingeworben, um ein Medizinprodukt im Bereich Endometriose weiterzuentwickeln.
MentalStark bei Kinderwunsch (meine-mentalstark.app)