Beitrag vom 06.03.2025

"In Hessens Wirtschaft sind Start-ups wie die Hefe im Teig."


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Kassels Stadtkämmerer und Wirtschaftsdezernent Matthias Nölke im Interview

Herr Nölke, wir durften Sie bereits bei zahlreichen Veranstaltungen im Science Park begrüßen. Wie nehmen Sie das Start-up-Ökosystem in der Region Kassel wahr?

Die Gründerstadt Kassel ist sehr lebendig mit 54 Gründungen allein im vergangenen Jahr. Das liegt auch an der breit aufgestellten Förderkulisse: Gründer finden Unterstützung durch die bewährten Beratungsangebote der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer und der Kasseler Sparkasse sowie in Gründungszentren und Coworking Spaces wie Science Park, FiDT, Neue Denkerei und Nachrichtenmeisterei. Bei der Vernetzung, auch mit unseren bereits etablierten Unternehmen, stehen die Wirtschaftsförderung Region Kassel und das Regionalmanagement Nordhessen zur Seite.

Kassel bietet Start-ups eine ganze Reihe von Vorteilen: Die zentrale Lage und gute Verkehrsanbindung erleichtern den Zugang zum gesamten mitteleuropäischen Markt. Die hohe Lebensqualität einer Großstadt bei zugleich moderaten Lebenshaltungskosten ist nicht nur für Fachkräfte attraktiv, sondern auch für das Start-up selbst, das sein Geschäftsmodell erst noch monetarisieren muss. Schließlich hat Kassel einen gesunden Branchenmix aus Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistung. Dieselbe Bandbreite bietet auch unsere Bildungslandschaft von der dualen Ausbildung bis zum Universitätsstudium. Diese Umgebung ist ideal für Gründer, da sie hier die unterschiedlichsten Zulieferer und Kunden für ihre innovativen Produkte finden.

Welche Rolle spielen junge Unternehmen/Start-ups aus Ihrer Sicht für die hessische Wirtschaft?

In Hessens Wirtschaft sind Start-ups wie die Hefe im Teig. Hier wachsen neue Ideen und innovative Konzepte, hier entstehen die Arbeitsplätze und der Wohlstand von morgen. Von ihrem Ideenreichtum profitieren hoffentlich nicht nur die Gründerinnen und Gründer persönlich, sondern am Ende die ganze Gesellschaft. Die neuen Produkte und Dienstleistungen, die unsere Unternehmen erfinden, zur Marktreife entwickeln und schließlich an den Markt bringen, machen nicht nur unseren Alltag bequemer. Sie schaffen auch Wachstum und finanzieren damit alle Wohltaten, für die sich die Politik gern feiern lässt: Zeitgemäße Bildung, kulturelle Förderung und soziale Absicherung.

Eine lebhafte Gründerkultur beschränkt sich allerdings nicht auf Gewerbe- und Patentanmeldungen. Es geht um eine Geisteshaltung: Gründer vertrauen nicht auf die Sicherheit, die andere für sie vorbereitet haben. Sie verlassen Ihre Komfortzone. Sie denken groß und gehen mit ihren Ideen ins Risiko. Sie wagen etwas Eigenes und etwas Neues. Und falls sie damit einmal scheitern, stehen sie auf und gehen weiter. Dieser Mut treibt unser Land an.

Was bedeutet der Science Park in diesem Kontext für die Stadt Kassel?

Der Science Park ist eine echte Erfolgsgeschichte für unsere Stadt. Mein Amtsvorgänger Dr. Jürgen Barthel nannte 2015 die Eröffnung des Science Parks einen seiner größten politischen Erfolge. Darin kann ich ihm nur zustimmen. Als Gründungszentrum beschränkt sich der Science Park längst nicht nur auf die Bereitstellung von Büros und Werkstätten, sondern schafft einen Raum zur Entwicklung von Ideen, zum Austausch von Erfahrungen und zur Vernetzung unter Gleichgesinnten. Die Universität und die Stadt arbeiten hier Hand in Hand, damit der Technologietransfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft direkt auf dem Hochschulgelände stattfindet. Mit UniKassel-Transfer konnte diese Zusammenarbeit schon über 300 Ausgründungen hervorbringen.

Was tut die Stadt Kassel, um Gründer*innen zu unterstützen und zu fördern?

Die Koalition, die mich zum Stadtkämmerer und Wirtschaftsdezernenten gewählt hat und meine Arbeit in der Stadtverordnetenversammlung unterstützt, bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag auf meinen Wunsch hin zu Kassel als „Stadt der Gründer“. Diese Ausrichtung ist für mich ein zentrales politisches Ziel. Es ist für mich daher selbstverständlich, dass wir auch weiterhin als ein Hauptgesellschafter sowohl den Science Park als auch das FiDT Technologie- und Gründerzentrum unterstützen.

Neun Jahre nach der Eröffnung des Science Parks ist es an der Zeit, in der Wirtschaftspolitik den nächsten Schritt zu gehen. In meinem Dezernat habe ich deshalb eine Stelle für Wirtschaftskoordination geschaffen, um den verschiedenen Akteuren der Unternehmenslandschaft, der wirtschaftlichen Interessensvertretung und der öffentlichen Wirtschaftsförderung eine Anlaufstelle in der städtischen Kernverwaltung zu bieten. Diese Stelle verstärken wir nun durch einen Gründerlotsen als direkten Ansprechpartner für unsere Start-ups. Unser Gründerlotse wird sich um die Wünsche und Nöte der lebendigen Gründerszene kümmern, sie im Behördendschungel unterstützen und bei der Vernetzung helfen.

Unternehmerische Tätigkeit und klassisches Verwaltungshandeln laufen nicht immer auf derselben Wellenlänge und können es vielleicht gar nicht wegen ihrer unterschiedlichen Perspektiven. Die Wirtschaftskoordination mit dem Gründerlotsen soll deshalb beide Seiten als Vermittler unterstützen. Sie tritt dabei nicht in Konkurrenz zur bewährten Gründerförderung durch Science Park, FiDT und die Kammern, sondern steht ihnen als Verbündete innerhalb der Verwaltung zur Seite.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Was die Zahl der Unternehmensgründungen angeht, ist Kassel alleiniger Spitzenreiter der kreisfreien Städte und Landkreise in Nord-, Ost und Mittelhessen. Diese Position müssen wir verteidigen und ausbauen. Wir liegen jedoch auf Platz 4, wenn man ganz Hessen betrachtet. Mein Ziel ist es, Wiesbaden den dritten Rang unter den hessischen Start-up-Städten abzulaufen. Dafür müssen wir unseren jungen Unternehmen die besten Voraussetzungen zur Geschäftsentwicklung, zur Fachkräftegewinnung und zur Expansion bieten. Sie müssen in Kassel wettbewerbsfähige Gewerbe- und Grundsteuersätze, eine agile und investorenfreundliche Verwaltung, eine leistungsfähige Infrastruktur sowie ein attraktives Wohn-, Bildungs- und Kulturangebot vorfinden.

Gründer sind mutig, risikofreudig und flexibel, sonst würden sie nicht gründen. Das bedeutet, dass diese klugen Köpfe nicht um jeden Preis in Kassel bleiben, wenn die äußeren Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen, sondern auch andere Standorte wählen können. Kassel darf seine Unternehmen, ob jung oder alt, niemals für selbstverständlich nehmen und sich nicht auf dem Status quo ausruhen. Besonders unsere Gründungszentren müssen deshalb modern und einladend ausgestattet sein, denn die Unternehmen der Zukunft locken wir nicht in Gebäude, die ihre besten Tage hinter sich haben. Auch hier werde ich tätig. Nur wenn sich Start-ups mit ihrem Ideenreichtum und ihrer Tatkraft hier wirklich willkommen fühlen und bestmöglich entfalten können, suchen mehr von ihnen ihr Glück in Deutschlands glücklichster Großstadt.